Ambivalenz verstehen – Wenn zwei Gefühle zugleich wahr sind
- Amelie Wiessler
- 18. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 13. Mai
Manchmal fühlen wir uns zerrissen.
Wir lieben – und sind wütend.
Wir sehnen uns – und wollen gleichzeitig Abstand.
Wir sagen Ja – und spüren ein deutliches Nein in uns.
Viele Menschen halten sich in solchen Momenten für inkonsequent, unsicher oder kompliziert.
Dabei zeigt sich hier etwas ganz Normales – etwas zutiefst Menschliches: Ambivalenz.
Sie ist kein Zeichen von Schwäche.
Sie ist ein Zeichen von Tiefe.
Und wenn wir lernen, Ambivalenz zu verstehen, kann aus dem inneren Widerspruch ein Weg zu mehr Klarheit entstehen.

Was bedeutet Ambivalenz eigentlich?
Ambivalenz beschreibt einen inneren Zustand, in dem zwei entgegengesetzte Gefühle oder Impulse gleichzeitig vorhanden sind – und beide sind echt.
„Ich will mit dir sein – aber ich brauche dringend Raum.“
„Ich liebe mein Kind – und manchmal überfordert es mich so sehr.“
„Ich sehne mich nach Veränderung – und habe gleichzeitig Angst davor.“
Diese Spannungsfelder lassen sich nicht einfach auflösen.
Aber sie wollen gehört werden.Ambivalenz zeigt: Mehrere Anteile in dir melden sich – und alle haben einen Grund, da zu sein.
Warum Ambivalenz so schwer auszuhalten ist
Wir leben in einer Welt, die Klarheit schätzt.
Schnelle Entscheidungen. Eindeutige Aussagen. Klare Haltungen.
Ambivalenz verlangsamt. Sie verunsichert. Sie fordert uns auf, stehen zu bleiben und zu lauschen – wo wir eigentlich weiterlaufen wollten.
Aber genau darin liegt auch ihr Wert:
Ambivalenz macht ehrlich.
Sie konfrontiert uns mit unseren inneren Widersprüchen – und lädt uns ein, sie nicht zu bekämpfen, sondern kennenzulernen.
Ambivalenz ist kein Problem – sie ist ein innerer Dialog
Wenn wir ambivalent sind, steht oft nicht „der ganze Mensch“ zwischen zwei Polen.
Sondern verschiedene innere Stimmen sprechen zugleich.
Vielleicht meldet sich ein Teil, der Bindung sucht – und ein anderer, der Freiheit braucht.
Ein Teil, der vertraut – und einer, der schützen will.
Ein Teil, der losgehen will – und einer, der Angst hat.
Ambivalenz zeigt, dass du nicht nur aus einer Perspektive bestehst.
Und dass es oft nicht um „entweder oder“ geht – sondern um „sowohl als auch“.
Was hilft, wenn du dich ambivalent fühlst?
Zuerst: Erlaube dir den Zustand. Du musst dich nicht sofort entscheiden. Es darf widersprüchlich sein.
Spüre in die unterschiedlichen Anteile hinein: Was will der eine Teil? Was braucht der andere? Wer meldet sich zuerst? Wer lauter?
Frag dich nicht nur: Was ist richtig? Sondern auch: Was ist stimmig – für mich, jetzt, in diesem Moment?
Sprich darüber. Ambivalenz wird oft still mit sich selbst ausgemacht. Aber sie kann sich verwandeln, wenn sie in Resonanz kommt.
Ambivalenz in Beziehungen – Nähe und Autonomie gleichzeitig
Ein klassisches Beispiel für Ambivalenz zeigt sich in Liebesbeziehungen:
„Ich will, dass du bei mir bist – aber ich brauche auch Luft.“ „Ich fühle mich sicher mit dir – und gleichzeitig zieht es mich hinaus.“
Viele denken, sie müssten sich entscheiden – für Nähe oder Freiheit. Aber oft liegt die Lösung nicht im Entweder-oder, sondern in der Frage: Wie viel beides darf gleichzeitig da sein?
Ein letzter Gedanke
Vielleicht trägst du eine Entscheidung in dir, die sich einfach nicht klar anfühlt.
Vielleicht kennst du diesen inneren Widerstreit.
Vielleicht hast du dir selbst schon Vorwürfe gemacht, weil du „nicht weißt, was du willst“.
Aber vielleicht willst du gar nicht nur eins.
Vielleicht spürst du ganz genau, dass zwei Seiten in dir sprechen – und dass beide gesehen werden möchten.
Du musst dich nicht zwingen, dich festzulegen.
Aber du darfst lernen, dir zuzuhören.
Denn Ambivalenz ist kein Fehler. Sie ist ein Weg zur Wahrheit. Deiner ganz eigenen.
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