Ambiguitätstoleranz entwickeln – mit Unsicherheit umgehen lernen
- Amelie Wiessler
- 18. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Es gibt Momente, in denen wir merken: Die Welt ist nicht eindeutig. Menschen sind nicht eindeutig. Wir selbst sind es auch nicht.
Vielleicht erleben wir eine Beziehung, in der Liebe und Schmerz nebeneinanderstehen.
Vielleicht erinnert uns etwas gleichzeitig an Geborgenheit – und an Verletzung.Vielleicht wollen wir uns verändern – und festhalten, was war.
Ambiguitätstoleranz heißt, diese Mehrdeutigkeit auszuhalten.
Nicht, weil wir keine Meinung haben. Sondern weil wir spüren: Beides darf wahr sein.
Was bedeutet Ambiguitätstoleranz?
Ambiguitätstoleranz ist die Fähigkeit, mehrdeutige, widersprüchliche oder unklare Situationen auszuhalten, ohne sie sofort auflösen zu müssen.
Ich kann traurig und dankbar zugleich sein.
Ich kann jemanden lieben – und nicht bei ihm bleiben.
Ich kann unsicher sein – und trotzdem weitergehen.
Diese Fähigkeit macht uns nicht schwächer. Sie macht uns tiefer.Und sie ist trainierbar.
Warum uns Widersprüche oft so schwerfallen
Viele von uns sind mit dem Gefühl aufgewachsen, sich entscheiden zu müssen. Für richtig oder falsch. Für Nähe oder Autonomie. Für Vertrauen oder Schutz.
Doch das Leben ist selten so klar. Es ist komplex, mehrschichtig, manchmal unlösbar. Und genau das fordert uns.
Wenn wir keine Ambiguitätstoleranz entwickeln, neigen wir dazu:
vorschnell zu urteilen
andere oder uns selbst zu reduzieren
Konflikte zu vermeiden oder zu eskalieren
Aber es gibt einen anderen Weg: halten statt lösen.

Wo uns Ambiguitätstoleranz wirklich weiterbringt
In der Biografiearbeit: Wenn wir auf eine Kindheit blicken, die sowohl liebevoll als auch einsam war.
In Beziehungen: Wenn wir lernen, andere Menschen nicht auf einzelne Verhaltensweisen zu reduzieren.
In Krisen: Wenn wir erkennen, dass Schmerz und Entwicklung manchmal gemeinsam auftreten.
In der Sexualität: Wenn wir zulassen, dass Lust und Unsicherheit, Nähe und Scham nebeneinander existieren dürfen.
In der Gesellschaft: Wenn wir Unterschiedlichkeit nicht als Gefahr, sondern als Reichtum betrachten.
Ambiguitätstoleranz heißt: Ich halte es aus, dass es keine einfache Wahrheit gibt.
Und manchmal entsteht daraus eine tiefere, ehrlichere.
Wie wir Ambiguitätstoleranz üben können und mit Unsicherheit umgehen lernen
Sprache beobachten Höre auf deine inneren Sätze: „Das muss doch…“, „So kann man das nicht sehen…“ Und dann frage dich: „Was wäre, wenn auch das Gegenteil stimmen dürfte?“
Sowohl-als-auch zulassen Ersetze „aber“ durch „und“:„Ich bin verletzt – und ich verstehe dich trotzdem.“
Pausen machen Ambiguität zeigt sich in der Stille. Wer nicht sofort bewertet, gibt dem Tieferen Raum.
Resonanz suchen Sprich mit Menschen, die Mehrdeutigkeit nicht als Bedrohung empfinden. Es macht einen Unterschied, ob du dich mit deiner inneren Komplexität gesehen fühlst.
Ein letzter Gedanke
Vielleicht hast du in dir selbst schon erlebt, wie widersprüchlich das Leben manchmal ist. Du willst mit dieser Unsicherheit umgehen lernen.
Wie schwer es fällt, nicht zu wissen, woran man ist – und wie viel Stärke darin liegt, trotzdem dazubleiben.
Ambiguitätstoleranz heißt nicht, dass alles gleichgültig wird.
Im Gegenteil: Es bedeutet, mit dem Unklaren in Beziehung zu bleiben.
Ohne es zu glätten. Ohne es wegzuerklären.
Und vielleicht beginnt sie genau da, wo du sagen kannst: „Ich weiß es nicht. Aber ich halte es aus. Und ich bleibe.“
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